Kolja Zydatiss – Cancel Culture

Die grassierende Unart der Cancel Culture ist eines der widerlichsten und verachtenswertesten Phänomene der Neuzeit.

Kolja Zydatiss, freier Autor verschiedener Printmedien und Blogs, u. a. der Achse des Guten, hat darüber ein lesenswertes Buch geschrieben. Aus dem Klappentext:

Menschen werden aufgrund ihrer Meinung aus ihrem Job gemobbt, von Veranstaltungen ausgeladen oder sogar körperlich angegriffen. Verlage werden gedrängt, sich von Autoren zu trennen. Zum Fallstrick werden kann mittlerweile fast alles, alberne Witze, unüberlegte Likes, sogar völlig sachlich vorgetragene Kritik an der Regierungspolitik. […] (Denn) obwohl das Establishment die Demokratie ständig rhetorisch beschwört, toleriert oder befördert es faktisch deren Verarmung, nicht nur durch die Cancel Culture. Das Buch plädiert für eine Wiederbesinnung auf die Meinungsfreiheit als Fundament einer wirklich demokratischen Gesellschaft.

Das Buch beginnt mit zwei Zitaten, eines davon, von Wolfgang Neumann, lautet:

Wer das gegnerische Wort fürchtet, der hat kein Vertrauen ins eigene Argument

Aufgeteilt ist es in drei Teile

Teil 1: Die neue Kultur des Ausgrenzens und Stummschaltens

Teil 2: Die Treiber der Cancel Culture

Teil 3: Demokratie in Gefahr

Gleich im ersten Teil, ab Seite 17, listet Kolja Zydatiss mehrere Fälle aus Deutschland und der angloamerikanischen Welt auf, mit dem Hinweis, dass die Fallsammlung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Was schlimm genug ist! So zum Beispiel der englische Biologie-Nobelpreisträger Tim Hunt, der aufgrund eines lächerlichen Witzes seine Professur und mehrere Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Organisationen verlor. Der Witz ging in etwa so: Drei Dinge geschehen, wenn Mädchen im Labor sind, man verliebt sich in sie, sie verlieben sich in einen und wenn Sie sie kritisieren, weinen sie. Vielleicht sollten wir getrennte Labore für Jungen und Mädchen haben.

Felix Perrefort will an der Uni Mainz einen Vortrag halten mit dem Titel „Islamisierung und antirassistisches Appeasement“ Antifa und Linke kündigen Störungen an, sogenannte „Aktivisten“ besetzen die Bühne, es kommt zu einem Handgemenge im Zuschauerraum. Der Vortrag wird abgebrochen und nachgeholt.

Eine Lesung mit dem deutsch-israelischen Schriftsteller Chaim Noll wird von der SPD abgesagt und mit dessen Kritik an der deutschen Außenpolitik gegenüber Israel und dem Iran begründet.

Die Autorin Amelie Wen Zhao zieht ihren Erstlings-Roman, eine Fantasygeschichte nach unfassbaren Vorwürfen sowie Angriffen im Netz zurück, es gebe zu wenig „genderqueere“ Charaktere, einen Bösewicht, der humpelt sowie Klischees über die chinesische Kultur und weiteren Schwachsinn.

Und dann ist da noch Hans-Joachim Mendig, der Filmproduzent, der es gewagt hatte, mit dem Bundesvorsitzenden der AfD, Jörg Meuthen zu Mittag zu essen und dies auch noch zu posten. 600 ach so anständige Filmschaffende forderten daraufhin seinen Rausschmiss bei der Hessenfilm, Jury-Mitglieder kündigten ihren Rücktritt an

Die Auflistung geht fast über 30 Seiten und erhebt – wie gesagt – keinen Anspruch auf Vollständigkeit!

Auszug Seite 63/64:

Aber es geht bei der Cancel Culture eben nicht um legitimen Widerspruch (der natürlich auch scharf und polemisch sein darf. Es geht nicht ums Kritisieren […] Es geht bei der Cancel Culture um Menschen, die aufgrund von rechtlich gedeckten Meinungsäußerungen, Mitgliedschaften in legalen Organisationen oder gar wegen „Kontaktschuld“ […] aus ihrem Job oder einer ehrenamtlichen Stellung gedrängt werden. […] Es geht um Bücher, die aus dem Sortiment genommen werden, um Verlage, die gedrängt werden, bestimmte Bücher nicht herauszugeben oder sich von bestimmten Autoren zu trennen.. Um Anschläge […] um körperliche Angriffe. Ziel der Cancel Culture ist nicht der Diskurs […] sondern die Verengung des Meinungsraums.

Interessant wird es, wenn man sich die Frage stellt, woher denn, aus welcher Ecke diese Unsitte kommt, unliebsame Meinungen durch Zerstörung der Person aus der Welt schaffen zu wollen. Es wird schwerlich ein konservativer Kopf aufzufinden sein, der jemanden wegen eines Mittagessens, wegen eine Witzes oder einer unbedachten Äußerung oder einer Regierungskritik aus dem Amt jagen oder die Person bis in den privatesten Bereich hinein zerstören will. 

Diese verachtenswerte Vorgehensweise ist dem linken Milieu vorbehalten.

Auszug Seite 99/100

In den letzten Jahrzehnten ist eine Art „linker“ Politik entstanden, die besessen ist von Frauengleichstellung, Minderheitenrechten und -repräsentation, von einer angeblichen Epidemie sexueller Belästigung, von angeblich endemischem Rassismus und Diskriminierung, sowie von Bildungsreformen, die die kulturelle Hegemonie „alter weißer Männer“ brechen sollen. […] Bereits bei den 68ern zeigte sich das problematische Verhältnis der Neuen Linken zur Meinungsfreiheit. […] Die heutigen linken Aktivisten gehen von mehreren höchst fragwürdigen Grundannahmen aus, die gravierende Konsequenzen für den Umgang mit dem freien Wort haben. […] … beruht der heutige linke Aktivismus auf der simplizistischen Einteilung der ganzen Menschheit in in unterdrückende und unterdrückte Gruppen

Besondere Beachtung verdient auch der Blick in Universitäten, aus der ja die zukünftigen „Eliten“ hervorgehen sollen. Nicht nur, dass man (nicht im vorliegenden Buch) immer wieder liest und hört, dass Studenten (JA ICH SCHREIBE DAS SO!!!) teils völlig lebensunfähig sind und ihre Eltern zu Gesprächen mit Lehrern und Professoren und wem auch immer antanzen, so weißt Kolja Zydatiss auf eine weitere Besonderheit hin:

Seite 108:

Die Dünnhäutigkeit, der pietistische Eifer, die narzisstische Selbstdarstellung und das schlichte Unwissen studentischer Aktivisten verschlagen einem manchmal die Sprache

Um die Zukunft kultureller Freiheit – und bei weitem nicht nur um die – kann einem, wie der Autor völlig zu recht schreibt, Angst und Bange werden, wenn man die Bilderstürmerei der Studenten der Berliner Alice-Salomon-Hochschule betrachtet, über die ich hier auch schon geschrieben habe.

Kolja Zydatiss‘ Buch ist ein Dokument der Zeitgeschichte. Auf 174 Seiten und 194 Quellangaben zeichnet der Autor ein düsteres Bild einer Gegenwart und auch einer Zukunft, in der solche verstrahlten Menschen womöglich irgendwann das Sagen haben werden.

Obwohl – eigentlich sind wir schon mittendrin.

Kolja Zydatiss: Cancel Culture – Demokratie in Gefahr, Solibro-Verlag, Münster 2021 ISBN 978-3-96079-086-0

3 Kommentare zu „Kolja Zydatiss – Cancel Culture

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